Der Aufsatz beschäftigt sich mit der ästhetischen Verarbeitung des Traums in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur anhand von zwei ausgewählten Beispielen aus den Romanen 'Die letzte Welt' (1988) von Christoph Ransmayr und 'Die Vermessung der Welt' (2005) von Daniel Kehlmann. Die Analyse konzentriert sich insbesondere auf das vierte Kapitel von Ransmayrs Roman, in dem der Protagonist Cotta auf der Suche nach dem verschwundenen Dichter Ovid die Nacht in der düsteren Atmosphäre des verlassenen Dichterhauses in dem isolierten und verwilderten Dorf Trachila verbringt und dort einen unheimlichen Traum erlebt (DlW, S. 69-73), und auf das fünfzehnte Kapitel 'Die Steppe' von Kehlmanns Roman, in dem Carl Gauß plötzlich einschläft und von einem Szenario träumt, das von Gegenständen gebildet ist, die für ihn futuristisch und geheimnisvoll sind, die aber zu unserem heutigen 21. Jahrhundert gehören (DVdW, S. 282f). Gegenstände im Traum werden dynamisch. Im Fall des Romans 'Die letzte Welt' verwandeln sie sich wie beispielsweise die Bretter des Bodens, die für den Protagonisten Cotta zu unheimlichen Traumbildern werden angefangen von den umhüllenden Federn eines Pfauen, die sich mit den Augen eines geträumten erschlagenen Ungeheuers vermischen. Dieser Traum erinnert an den klassischen Mythos des Argos Panoptes (Argos ‚der Allesseher‘), so dass wir hier das Verhältnis von Traum und Mythos näher ins Auge fassen werden. Der gesamte Roman besitzt eine Art magischer Traumatmosphäre, mal mehr, mal weniger prononciert, mit starkem Bezug auf das Heute, denn es ist ja ein heutiger Roman, der auf die Vergangenheit Bezug nimmt, diesmal durch die Verwendung des Traums. Manifestiert dieser Traum sich als Projektion in eine mythische Vergangenheit, so gestaltet sich das fünfzehnte Kapitel des Romans 'Die Vermessung der Welt' als Perspektive in die Zukunft, erscheinen dort doch Gegenstände aus dem heutigen Alltag im Traum als sei er eine Art raum-zeitliches Portal, das Carl Gauß ermöglicht, seine eigenen Zeitgrenzen des neunzehnten Jahrhunderts zu überwinden und seine Zukunft (d.h. unsere Gegenwart) zu beobachten. Auf diese Weise bietet sich hier die Untersuchung der komplexen Zeitverhältnisse eines Gegenwartsromans an, der in die Vergangenheit zurückgeht, um von hier aus den (Traum-)Blick in unsere Gegenwart zu richten.
Das ‚unerklärte‘ Einschlafen. Der unausgesprochene Übergang von der Wachwelt zur Traumwelt am Beispiel von Christoph Ransmayrs 'Die letzte Welt' (1988) und Daniel Kehlmanns 'Die Vermessung der Welt' (2005) / Esposito, Gianluca. - (2024), pp. 77-92. [10.30965/9783846768587_006]
Das ‚unerklärte‘ Einschlafen. Der unausgesprochene Übergang von der Wachwelt zur Traumwelt am Beispiel von Christoph Ransmayrs 'Die letzte Welt' (1988) und Daniel Kehlmanns 'Die Vermessung der Welt' (2005)
Esposito, Gianluca
2024
Abstract
Der Aufsatz beschäftigt sich mit der ästhetischen Verarbeitung des Traums in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur anhand von zwei ausgewählten Beispielen aus den Romanen 'Die letzte Welt' (1988) von Christoph Ransmayr und 'Die Vermessung der Welt' (2005) von Daniel Kehlmann. Die Analyse konzentriert sich insbesondere auf das vierte Kapitel von Ransmayrs Roman, in dem der Protagonist Cotta auf der Suche nach dem verschwundenen Dichter Ovid die Nacht in der düsteren Atmosphäre des verlassenen Dichterhauses in dem isolierten und verwilderten Dorf Trachila verbringt und dort einen unheimlichen Traum erlebt (DlW, S. 69-73), und auf das fünfzehnte Kapitel 'Die Steppe' von Kehlmanns Roman, in dem Carl Gauß plötzlich einschläft und von einem Szenario träumt, das von Gegenständen gebildet ist, die für ihn futuristisch und geheimnisvoll sind, die aber zu unserem heutigen 21. Jahrhundert gehören (DVdW, S. 282f). Gegenstände im Traum werden dynamisch. Im Fall des Romans 'Die letzte Welt' verwandeln sie sich wie beispielsweise die Bretter des Bodens, die für den Protagonisten Cotta zu unheimlichen Traumbildern werden angefangen von den umhüllenden Federn eines Pfauen, die sich mit den Augen eines geträumten erschlagenen Ungeheuers vermischen. Dieser Traum erinnert an den klassischen Mythos des Argos Panoptes (Argos ‚der Allesseher‘), so dass wir hier das Verhältnis von Traum und Mythos näher ins Auge fassen werden. Der gesamte Roman besitzt eine Art magischer Traumatmosphäre, mal mehr, mal weniger prononciert, mit starkem Bezug auf das Heute, denn es ist ja ein heutiger Roman, der auf die Vergangenheit Bezug nimmt, diesmal durch die Verwendung des Traums. Manifestiert dieser Traum sich als Projektion in eine mythische Vergangenheit, so gestaltet sich das fünfzehnte Kapitel des Romans 'Die Vermessung der Welt' als Perspektive in die Zukunft, erscheinen dort doch Gegenstände aus dem heutigen Alltag im Traum als sei er eine Art raum-zeitliches Portal, das Carl Gauß ermöglicht, seine eigenen Zeitgrenzen des neunzehnten Jahrhunderts zu überwinden und seine Zukunft (d.h. unsere Gegenwart) zu beobachten. Auf diese Weise bietet sich hier die Untersuchung der komplexen Zeitverhältnisse eines Gegenwartsromans an, der in die Vergangenheit zurückgeht, um von hier aus den (Traum-)Blick in unsere Gegenwart zu richten.I documenti in IRIS sono protetti da copyright e tutti i diritti sono riservati, salvo diversa indicazione.